Die Zigeuner Motte lebt

2016-08-17-01

„Gipsy Moth IV“ in Greenwich (1979)

In der der YACHT 18/2016 ist unter der Rubrik „das besondere Boot“ ein Artikel über Sir Francis Chichesters „Gipsy Moth IV“ zu finden, mit der Chichester in den Jahren 1966/67 Segelgeschichte schrieb, in dem er seiner Weltumseglung in nur zwei Etappen von Plymouth nach Sydney und zurück nach Plymouth beendete. Das Buch zu dieser Weltumseglung, „Sir Francis Chichester – Held der Sieben Meere“, erschienen bei Droemer Knaur (und im Original mit dem weit weniger reißerischen Titel „GIPSY MOTH Circles the World“) ist wohl das Stück Segelliteratur, das ich am häufigsten gelesen habe. Ich erinnere mich noch gut, wie ich 1979 mit meinen Eltern in England war und wir in Greenwich die „Gipsy Moth IV“ neben der „Cutty Sark“ gesehen haben und wie fasziniert ich war, diese Ikone der Segelei besichtigen zu können – was schließlich dazu führte, dass ich meinen Laser ebenfalls auf den Namen „Gipsy Moth“ taufte.

Video auf YOUTUBE: Chichesters Arrival (1967)

Bei aller Nostalgie sollte man nicht vergessen, dass die „Gipsy Moth IV“ bei ihrer Fertigstellung ein Boot war, mit dem „der normale Fahrtensegler nicht einmal zum Absegeln ausgelaufen wäre“, wie ich irgendwo einmal gelesen habe. Chichester selbst beschreibt das Boot als…

…zu groß bzw. zu schwer…

Cockpit und Niedergang

Cockpit und Niedergang

Der ursprüngliche Plan hatte eine Wasserverdrängung von 5.75 Tonnen vorgesehen. (…) Als das Boot dann fertig war, hatte es aber eine Wasser-verdrängung von 9.5 Tonnen (…) und durch den (zusätzlichen) Bleiballast im Kiel erreichte es schließlich eine Wasserverdrängung von 11.5 Tonnen. Das war nicht weniger als das doppelte des Gewichtslimits, das ich ursprünglich angegeben hatte.

…mit zu wenig Segelfläche…

Illingworth sah ein Großsegel von 300 Quadratfuß (27.9 m²) vor, ein Besansegel von 140 Quadratfuß (13 m²) und als größtes Vorsegel eine Arbeitsfock von 200 Quadratfuß (18.6 m²) sowie eine Genua von ebenfalls 200 Quadratfuß. Meiner Meinung nach war dies eine sehr kleine Segelfläche für ein 54 Fuß langes Boot (…) und ich bestand auf einem um fünfzig Prozent größeren Vorsegel und zwei großen Genuafocks (dreimal so groß wie das von Illingworth vorgesehene größte Focksegel, d.h. je 600 Quadratfuß).

…nicht zu Ende gedacht und, vor allen Dingen, als viel zu rank…

Die Risse sahen mittschiffs einen kurzen, tiefen Kiel vor, achtern ein getrenntes Ruder mit Skeg davor. Ich war allerdings der Überzeugung, daß eine solche Anordnung bei grober See im Südpazifik nicht stabil genug sei, worauf Illingworth sich bereit erklärte, den Kiel bis zum Ruder zu verlängern.

Als die Arbeiten so weit fortgeschritten waren, daß der Motor eingebaut werden konnte, stellte sich heraus, daß die Schraube oberhalb der Wasserlinie liegen würde.

Der Aufbau ohne Ecken und Kanten

Der Aufbau ohne Ecken und Kanten

Ein Windstoß mit einer Stärke von höchstens 6 (Bft.) legte das Boot so um, daß die Masten parallel zur Wasseroberfläche lagen. Bei dieser Versuchsfahrt waren John Illingworth und Colonel „Blondie“ Hasler an Bord. Über die Frage, wie weit sich die „Gipsy Moth“ übergelegt hatte, waren wir alle verschiedener Meinung. John behauptete, die Masten hätten keinesfalls auch nur annähernd waagerecht gelegen. „Blondie“ sagte, „Ich glaubte zuerst, daß sie 80 Grad Schlagseite hat, aber hinterher dachte ich mir, daß man in solchen Fällen wohl immer übertreibt – wahrscheinlich hat sie gar nicht so stark gekrängt.“

…nach den ersten Segelversuchen wurde der Kiel mit zusätzlichen 1000 kg Blei beschwert. Auf der Jungfernfahrt erwies sich das Boot als schlecht zu manövrieren…

„Als wir (…) in den Hafen zurückkehrten, nur unter Großsegel, überließ man mir das Ruder. Ich hielt Kurs auf die Nahe Mole an der Ostseite des Hafens; 50 oder 75 Meter davor legte ich das Ruder um zu wenden. Die „Gipsy Moth IV“ reagierte nicht im geringsten. Wir liefen geradewegs auf die Mole zu (…) – ich aber war so wütend, daß ich nichts unternahm, außer daß ich John (Illingworth) herbei rief und ihm erklärte, was los war. Er warf sofort den Motor an, brachte ihn auf Touren und bekam damit das Boot herum.“

…und auch nach der Vergrößerung des Ballastanteils war das Boot immer noch zu rank, obwohl es für normale Verhältnisse (für die „Roaring Fourties“ war es ja vielleicht genau richtig) sogar untertakelt war…

„Einmal mußten sämtliche Amwindsegel gesetzt werden, um bei einer Briese von 20 Knoten die Geschwindigkeit von 9 Knoten zu erreichen, was bedeutete, daß das Boot bei geringeren Windstärken untertakelt war; und zweitens lag es 30 oder 35 Grad über. Wenn man im Solent segelt und sich in der Plicht aufhält, macht eine Schlagseite von 30 Grad nichts aus – dadurch wird das Segeln nur noch aufregender. Wenn man aber bei einer solchen Schlagseite unter Deck arbeiten soll, sieht das schon ganz anders aus; und bei grober See ist eine konstante Schräglage von 30 bis 40 Grad weit gefährlicher als auf dem ruhigen Wasser des Solent. Eine hohe Welle kann das Boot um weitere 40 Grad krängen lassen – und was passiert dann?“

Bereits unterwegs im Südatlantik mußte Chichester feststellen, daß das Boot so unausgewogen war, daß die Windselbststeueranlage das Boot nicht vernünftig am Wind zu steuern vermochte…

Chichesters Koje mit allen Instrumenten im Blick

Chichesters Koje mit allen Instrumenten im Blick

Es gab für die „Gipsy Moth“ einen kritischen Neigungswinkel. Wenn sie nur wenig aufrechter stand, begann sie anzuluven und Fahrt zu verlieren. Wenn sie sich jedoch um wenige Grad weiter überlegte, rutschte das Vorschiff leewärts weg und machte auf 30 Grad tieferen Kursen hohe Fahrt. Dabei erreichte die „Gipsy Moth“ Renngeschwindigkeit, aber natürlich nutzte das wenig, wenn nämlich der Kurs, den ich anliegen wollte, um 30 Grad anders lag.“

Umfangreiche Modifikationen in Sydney konnten schließlich die Segeleigenschaften so weit verbessern, daß Chichester seine Reise erfolgreich fortsetzen und beenden konnte.

Die Segeleigenschaften der „Gipsy Moth“ habe ich auf sehr harte Art kennen lernen müssen. Umso interessierter war ich, als ich erfuhr, dass die Firma Hobbies Ltd. eine „Gipsy Moth IV“ als Modellyacht auf den Markt gebracht hat. Es ist ein Modell, wie man es für regelrechte Modellregatten verwendet.

Als die Firma Hobbies Ltd. den maßstabgerechten Prototyp des Bootskörpers anfertigte, schien er bei den ersten Schwimmversuchen“statisch durchaus stabil“ zu sein. Sobald aber die Takelage angebracht war und die Segelversuche begannen, stellte sich heraus, dass der Kiel zu leicht war und das Boot so stark krängte, dass die Segel ins Wasser tauchten. Sehr ähnlich war es mir ja auch bei den ersten Segelversuchen mit der wirklichen „Gipsy Moth IV“ ergangen. Daraufhin baute man den Kiel um, machte ihn länger, dicker und schwerer; außerdem wurde er nach hinten zum Rudersteven verlängert, wie Warwick Hood es dann in Sydney getan hat. Als man das Modell mit Fernlenkung ausprobierte, stellte man fest, dass das ursprüngliche Modell auf Ruderkommandos zunächst überhaupt nicht reagierte, um dann ganz plötzlich herum zu „schießen“. Danach wurden mit dem Modell weitere Segelversuche angestellt. Das Modell benahm sich besser, nachdem man herausfand, dass die Ruderfläche verkleinert werden konnte, aber im Profil an den umgebauten Kiel angepasst werden musste.

Das bin ich - 1979 :-)

Das bin ich – 1979 🙂

Danach stellte sich heraus, dass das Besansegel die Tendenz hatte „überzukommen und das Modell vom Kurs abzubringen“. Das aber bedeutet, dass der Druck des Besansegels nicht durch das Vorsegel ausgeglichen wurde und infolgedessen das Modell zum anluven brachte. Dieser gleiche Fehler ist bei der „Gipsy Moth IV“ zum Teil in Sydney abgestellt worden, in dem man den Stevenbeschlag weiter nach vorne setzte. Dadurch war das Boot bei den meisten Segelmanövern schließlich im rechten Trimm. Beim Modell verkleinerten die Modellbauer das Besan und erzielten damit den gleichen Effekt. Wenn das Modell mit einem maßstabgerechten Großsegel geriggt war, schlug das Segel so, das es nicht zur vollen Wirkung kam; man musste also beim Modell auch die Größe des Großsegels verringern, damit es richtig zog. Nach all diesen Änderungen stellte sich heraus, dass Geschwindigkeit und Leistungsfähigkeit des Modells weit über die Erwartungen der Modellbauer hinausgingen – sie sind überzeugt, dass Linienführung und Taklung des Bootes das beste sind, was derzeit auf dem Markt ist, und sogar als man die Leistung mit der von eigens für Fernlenkung entworfenen Modellrennyachten verglich, war es diesen sowohl hinsichtlich der Geschwindigkeit als auch der Handigkeit überlegen.

Hierzu Chichesters Kommentar:

Wie schade, dass die Erbauer der „Gipsy Moth IV“ nicht genügend Zeit hatten, ebenfalls ein Modell anzufertigen, um es auf einem Segelteich auszuprobieren, ehe das Boot gebaut wurde! Welch eine Menge Sorgen, Ärger und Anstrengungen hätte es mit erspart, wenn ich schon vor meiner Reise die Fehler der „Gipsy Moth IV“ hätte entdecken und abstellen können.

PPL PHOTO AGENCY - COPYRIGHT FREE Dateline Plymouth, 25:09:05:  'Gipsy Moth IV' and her crew set sail from Plymouth today on asecond global voyage to commemorate the 40th anniversary of Sir Francis Chichester's famous solo one-stop circumnavigation in 1966/7. She is due to return to Plymouth on 28th May 2007 - exactly 40 years after Chichester also returned. PHOTO CREDIT: Barry Pickthall/PPL Tel: +44(0)1243 555561 E.mail: ppl@mistral.co.uk  Web: www.pplmedia.com

PPL PHOTO AGENCY – COPYRIGHT FREE
Dateline Plymouth, 25:09:05: ‚Gipsy Moth IV‘ and her crew set sail from Plymouth today on asecond global voyage to commemorate the 40th anniversary of Sir Francis Chichester’s famous solo one-stop circumnavigation in 1966/7.
She is due to return to Plymouth on 28th May 2007 – exactly 40 years after Chichester also returned.
PHOTO CREDIT: Barry Pickthall/PPL
Tel: +44(0)1243 555561 E.mail: ppl@mistral.co.uk Web: www.pplmedia.com

Nach dem Abschluss der Reise schrieb Chichester in seinem Buch (gefunden auf der Webseite des Gipsy Moth Trust): „Now that I have finished, I don’t know what will become of „Gipsy Moth IV“. I only own the stern while my cousin owns two thirds. My part, I would sell any day. It would be better if about a third were sawn off. The boat was too big for me. „Gipsy Moth IV“ has no sentimental value for me at all. She is cantankerous (übersetzt: übellaunig, zänkisch, streitsüchtig) and difficult and needs a crew of three – a man to navigate, an elephant to move the tiller and a 3’6″ (1.1m) chimpanzee with arms 8′ (2.4m) long to get about below and work some of the gear“.

Vor ein paar Jahen haben neue Eigentümer die „Gipsy Moth IV“ aus ihrer Gruft neben der „Cutty Sark“ befreit und restauriert. Heute segelt die übellaunige, zänkische, streitsüchtige  und schwierige „Zigeuner Motte“ wieder.

Cowes, Isle of Wight, 11 july 2012 Panerai Classic Yacht Challenge 2012 Panerai British Classic Week 2012 Gipsy Moth IV Photo: Panerai/ Guido Cantini / Sea&See

Cowes, Isle of Wight, 11 july 2012
Panerai Classic Yacht Challenge 2012
Panerai British Classic Week 2012
Gipsy Moth IV
Photo: Panerai/ Guido Cantini / Sea&See

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