Besuch bei einer alten Dame

Im neuen Mitteilungsblatt des KYC finde ich einen Artikel von Lasse Johannsen über die „Zukunft II“ (genannt „Kuh“), das ehemalige Flaggschiff der Jugendabteilung, auf der auch ich meine ersten längeren Segelreisen nach Polen (1983) und nach Finnland (1984) gemacht habe. Beim Lesen des Artikels wird mir klar, wie viele glückliche und sentimentale Erinnerung auch ich mit der „Kuh“ verknüpfe…

Die "Zukunft II" im Skagerrak (1983)

Die „Zukunft II“ im Skagerrak von der NAUSIKAA aus fotografiert (1983)

Im Finnischen Ajolantie lugen zwei frisch lackierte Spruce-Masten goldglänzend hinter zwei graugrünen Schären hervor. Der Anblick dieses Riggs lässt mich schon von weitem erkennen, was gleich zumVorschein kommen wird.

Und tatsächlich. Je näher ich komme, desto eindrucksvoller das Dejavue. Plötzlich liegt sie vor mir, die alte „Kuh“. Alles sieht so aus, als sei sie auf Sommerreise, als sei nie etwas geschehen. Gleich würde lautes Geschrei ertönen, würde dumpfes Platschen von Voll- und Kopfbädern künden, gleich würde das ganze Schiff in Sicht kommen, und ganz sicher eine Horde Yachtschüler über Deck toben.

1984 vor Anker in den Alands

Vor Anker in den Alands (1984)

Ich bin hergekommen, um über dieses Schiff eine Reportage für die YACHT classic zu schreiben. Wissend, dass die Ära „Zukunft II“ längst Vergangenheit ist. Seit ein Orkan das von Yachtschul-Generationen geliebte Schmuckstück 1989 unsanft in den Ruhestand schickte. Und tatsächlich steht am Bug nun auch „Cläre“. Verträumt und ruhig liegt sie da, fest vertäut im idyllischen Yachthafen längsseits an einem Schwimmsteg. Im Besanmast weht die finnische Flagge und ruft mich ins hier und jetzt zurück. Die alte „Kuh“ hat eine neue Heimat.

Mehr als 50 Jahre lang diente sie unserem Club als Flaggschiff der Ausbildungsflotte. Es waren die vielleicht bewegtesten Zeiten der Clubgeschichte und das Schicksal der zweiten „Kuh“ ist untrennbar mit ihnen verknüpft. Es hier nachzuerzählen würde den Rahmen sprengen und wäre auch vermessen, weil zahlreiche Clubmitglieder es nach eigenem Erleben besser könnten als ich, der ich nur drei Sommer als aktiver Yachtschüler an Bord war. Doch die wichtigsten Eckdaten seien in Kürze erzählt.

1984 an der Pier in Visby

An der Pier in Visby (1984)

1927 wurde „Cläre“ für den Kieler Reeder Carl Grammersdorf nach Vorbild der ebenfalls unter dem Stander des damaligen Kaiserlichen Yacht-Clubs segelnden „Gaviota“ bei den Deutschen Werken in Kiel gebaut und nach der Frau des Eigners benannt. Schon 1936 trat sie ihren anstrengenden Dienst in der Yachtschule an. Im Vorjahr war der Kauf besiegelt worden, das Frühjahr sah die Gaffelyawl bei Abeking und Rasmussen zu einer umfassenden Überholung. Unter anderem wurde sie mit dem abgelegten Rigg der „Senta“ zur Gaffelketsch umgetakelt, die in diesem Jahr ihr Spreizgaffelrigg erhielt. Der Benzinmotor wurde aus dem Bauch der zukünftigen „Zukunft II“ gehievt, ein nach damaliger Auffassung zu Ausbildungszwecken entbehrliches Gerät, an seiner Stelle kamen zusätzliche Kojen ins Achterschiff.

In den wenigen Jahren bis zum Ausbruch des Krieges wurde die „Kuh“ intensiv gesegelt, blieb dann zwangsläufig ungenutzt im O-Hafen liegen, wo sie 1943 sank – ein Kloventil machte schlapp. Am Bahnhof stellte man das Schiff an Land. Nach zwei Bombenanschlägen trug es Blessuren davon und erlebte das Kriegsende schließlich wieder schwimmend im Marinestützpunkt.

1984 vom Dinghy aus im Kalmarsund

Vom Dinghy aus im Kalmarsund (1984)

Was dann geschah ist Clubgeschichte und Symbol für den damaligen Yachtschulgeist. Bei Nacht und Nebel entführten die Yachtschüler im Jahre 1947 ihre mittlerweile wieder halb gesunkenen „Kuh“, brachten sie zur Krögerwerft und retteten das mittlerweile ausgeschlachtete Wrack in Eigenleistung für die Nachwelt. 1949 war sie wieder segelklar. Masten aus zwei frisch geschlagenen Tannen und leer im Bauch, aber gut gelaunt wie nie zuvor, gestaltete das Schiff mit seinen Jungs die karge Nachkriegszeit zum Fest auf dem Wasser. Die Reiseberichte jener Jahre erzählen vom Stolz auf diese Leistung und vom Glück, ein solches Schiff segeln zu können. Schon im ersten Winter entsteht ein neuer Ausbau nach den Plänen des damaligen Leiters der Yachtschule und bald ist das Flaggschiff wieder ein Schmuckstück, segelt als Bundespräsidentenyacht während der Kieler Woche über die Förde und die immer ausgedehnteren Reisen führen die Yachtschüler ins skandinavisches Ausland und auf die Nordsee.

1957 erhält die „Kuh“ ein neues Teakdeck, bald darauf das heutige Rigg, 1967 einen neuen Dieselmotor, 1975 wird der achtere Niedergang einer Cockpiterweiterung geopfert und 1981 kommt eine GFK-Beschichtung auf die Außenhaut.

Unter ihrem ersten Namen „Cläre“ entstand die Kreuzeryacht einst als Renomierfahrzeug. Ihr Vorbild „Gaviota“ stammte aus der Feder des Britischen Gentleman-Yacht-Konstrukteurs Linton Hope. Schiffe dieser Art waren in keine zeitgenössische Rennformel gebaut, sondern sollten seegängig, repräsentabel und wertvoll wahrsten Wortsinns sein.

1985 mit 10 kn einlaufend in die Förde

Mit 10 kn einlaufend in die Förde (1985)

So, wie die „Cläre“, seit 1990 steht ihr erster Name wieder an der Schanz, sich nun in die Landschaft des Schärenreviers schmiegt, bestätigt sie diesen Anspruch bis heute auf eindrucksvolle Weise. Vornehm sieht sie aus, erhaben, herausgeputzt. Die lackierten Aufbauten der Niedergänge, die Skylights und Lukendeckel mit neuem Lackaufbau versehen, einige Teile nach höchsten Ansprüchen und absolut original nachgebaut. Das Teakdeck neuwertig und schier, an der blitzweißen Außenhaut perlt das Wasser ab.

1985 Yachtschulgeburtstag

Yachtschulgeburtstag (1985)

An Deck ist Eigner Jean Marc Hering mit Segelmacher Albert Schweitzer dabei, neue Segel anzuschlagen. Wenig später flitzen Herings Söhne Louis (7) und Leon (4) über das Schiff. Sie sind die eigentlichen Herren über „Cläre“, das wird schnell klar. ‚Die „Cläre“ soll für meine Familie ein Ort der Freude sein‘, sagt Hering, der in Stuttgart aufgewachsen und Deutsch-Franzose ist. Er und seine Frau Kaisu, die hier aus der Gegend stammt, haben sich in unsere alte „Kuh“ verliebt, als sie das Schiff 2009 in Laboe zum ersten Mal gesehen haben. Ein Jahr lang ging sie ihnen nicht aus dem Kopf, dann war es um sie geschehen. Gemeinsam mit den Voreignern, über den Kauf wurde man sich schnell einig, segelten sie die „Cläre“ im frühen April des Jahres 2011 nach Finnland.

‚Seit dem sind wir ihr Lehrling‘, sagt Kaisu, lacht dabei, während ihr Mann, etwas nachdenklicher, von den Mühen erzählt, die es erfordert, diesen großen Klassiker jedes Frühjahr aufs neue instand zu setzen. Der Winter ist lang und kalt hier oben. Um die Lackierarbeiten bewältigen zu können und sich in jedem Winterhalbjahr ein neues der vielen Projekte auf der To-Do-Liste vorzunehmen, hat er eine mobile Halle gebaut, die im Herbst um das Schiff aufgestellt wird.

1985 Yachtschulgeburtstag

Yachtschulgeburtstag (1985)

Ist es ihm zu kalt, verbringt er viel Zeit damit, am heimischen Schreibtisch die Geschichte zu recherchieren und festzuhalten. Zu vielen der alten Yachtschüler hat er bereits festen Kontakt. Wenig weiss Hering über die Zeit vor und nach dem Leben als „Zukunft II“. Die letzte Reise fand 1989 statt. Nach ihrer Rückkehr lag die „Kuh“ im Jahrhundert-Orkan eingeklemmt zwischen „Germania VI“ und der Spuntwand im Becken vor dem Clubhaus. Zwei enthusiastische Neueigner verbrachten das Schiff, ein zweites Mal zum Wrack mutiert, über See nach Stettin, wo es wieder instand gesetzt wurde. Die Einrichtung zeugt noch heute vom Stil der polnischen Holzbootsbauer. Signifikannter waren aber die blauen Segel, die das Schiff damals in der Szene schon von weitem erkennbar machten.

Als die beiden das geplante Charterkonzept nicht zum Laufen bringen und auch sonst einiges schief läuft, schlummert die alte „Kuh“ im Hafen von Möltenort einen Dornröschenschlaf, aus dem es eine Eignergemeinschaft um KYC-Mitglied Reinhard Laucht wachküsst. Noch eimal wird das Schiff von Grund auf saniert, die Mühen belohnt der Freundeskreis Klassischer Yachten mit dem Restaurierungspreis. Aus dieser Phase übernimmt es Hering.

Die neuen Segel sind nun wieder weiß. Und als sie angeschlagen sind, geht es mit „Cläre“ los. Raus aus dem Hafen, ab in die Schären. Mühsame Kreuz. Da ist sie wieder, die Erinnerung an alte Yachtschulzeiten. Immer fehlt eine Hand, insbesondere, wenn die Crew nur aus einer vierköpfigen Familie mit drei Gästen besteht.

1985 Yachtschulgeburtstag

Yachtschulgeburtstag (1985)

Mein Blick wandert in Gedanken über Deck. Was ist geblieben? Was neu? Das monströse Ankerspill ist einem neuen gewichen. Die Schoten werden allesamt auf Winschen gefahren, die am Cockpit angeordnet sind. Das Deckslayout ist den Originalplänen wieder angeglichen worden, wo einst die zweite Plichtwanne vor den Besan gesetzt wurde, steht nun wieder ein Niedergang zum Achterschiff. Dann wirkt das Schiff eleganter als zu Yachtschulzeiten. Kein Dinghy an Deck, das Heck schwimmt höher auf, nachdem ein leichterer Motor weiter vorn im Achterschiff seinen Platz fand. Einige Details der Beschlagsausstattung sind verändert worden, aber viele der altvertrauten Teile sind geblieben und fast automatisch finde ich mich während des Segelns wieder zurecht.

Und so geht es, eigentümlich vertraut und doch als Gast an Bord durch die zauberhafte Schärenlandschaft. Irgendwann werden die Schoten geschrickt, „Cläre“ schmiegt sich in die selbstgemachte Welle und schnauft los, als wären die vielen Jahre nicht gewesen. Und immer, wenn der neue Eigner das Ruder etwas kräftiger legt, dann blökt das ganze Schiff. Wie eine alte Kuh.

Lasse Johannsen

Die ausführliche Reportage ist in der aktuellen YACHT classic zu lesen.

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