Digitale Demenz

Vor dem SilverRudder am Kartentisch

Vor dem Silver Rudder 2013 am Kartentisch

Interessanter Begriff, digitale Demenz. Habe ich noch nie drüber nachgedacht. Bevor wir die SNAEDIS gekauft haben, waren wir 2008 ein Wochenende mit einem Boot von Freunden unterwegs. Eine große Sigma, mit Radsteuerung und Kartenplotter am Steuerstand. Damals hat mich das Konzept nicht überzeugt. Kleines Display, Symbole oder Details verschwinden, je nach Zoomstufe. Man schaut mehr auf die Anzeige, als nach voraus an den Horizont. Und so war ich auch nicht traurig, dass die SNAEDIS keinen Kartenplotter im Cockpit hatte, sondern nur ein GPS unter Deck am Kartentisch mit Repeater in der Instrumentenkonsole. Und wir weiterhin mit Papierseekarten navigieren mussten.

„Je sicherer sich Menschen fühlen, desto risikoreicher handeln sie“ und „Wer navigieren lässt, trainiert seine Ortskenntnis nicht und weiß oft nicht, wor er ist. Ihm fehlt die räumliche Orientierung“, werden in der YACHT 3/2015 Wissenschaftler und Forscher zitiert.

Jedesmal wenn wir von See kommend Bülk passieren und in die Strander Bucht einlaufen staune ich, wie dicht andere Segler heutzutage den Leuchtturm Bülk passieren, wo doch in der Seekarte dort zahlreiche große Steine eingetragen sind. Und immer mal wieder steht ein Segelboot in der Saison in Strande auf der Pier und wird im Kielbereich repariert – die haben solch einen Stein dann getroffen. Im Zeitalter der digitalen Seekarten und der Kartenplotter sind sich viele Segler offensichtlich der Risiken gar nicht bewusst und wiegen sich in der trügerischen Sicherheit ja genau zu wissen, wo sie sind. Nur dass ja gar nicht jeder Stein in den Karten eingetragen sein kann, und schon gar nicht mit der dazugehörigen Tiefenangabe.

Andererseits haben wir in den schwedischen Schären zahlreiche Segler gesehen, die geradezu sklavisch den vorgegebenen Wegen folgen, als ob man gar nicht andere Kurse fahren dürfte oder könnte. Zu unsicher, der eigenen räumlichen Orientierung zu trauen?

Fokussiert, aber nicht angestrengt

Fokussiert, aber nicht angestrengt

Und so bin ich ganz froh, keinen Kartenplotter im Cockpit zu haben, den Ort, Kurs und Geschwindigkeit mehr instinktiv durch einen Blick ringsherum, an Hand des Standes der Sonne und den Wind im Haar zu erfassen. Natürlich steuern wir auch nach Kompaß oder GPS Anzeige und tragen regelmäßig einen Ort in der Seekarte ein. Aber wir starren nicht ununterbrochen auf die Anzeigen, sondern nur wenn der Blick gelegentlich Kompass oder Anzeige streift. Eine Abweichung vom „Soll“-Kurs macht sich doch auch anders sofort bemerkbar, weil die Wellen anders kommen, die Bewegungen des Bootes sich ändern, oder die Segel nicht mehr richtig stehen. Oder weil man plötzlich in der Sonne / im Schatten sitzt. Oder weil eine Landmarke nicht mehr an der gleichen Stelle relativ zum Boot steht. Da vermisse ich keinen Kartenplotter im Cockpit.

Mit allen Sinnen segeln. Fokussiert, aber nicht angestrengt.

Und so freue ich mich darüber, dass Loick Peyron, einer der herausragenden französischen Hochseesegler auf die Frage „Haben Sie am Steuerstand einen Plotter?“ antwortet, „Nein, wozu? Mir reichen Kompasskurs, Windstärke und Windrichtung zum Steuern. Alles andere sehe ich ja selbst, solange kein Nebel herrscht. All diese zusätzlichen Informationen würden mich nur ablenken. Wenn eine Situation unklar sein sollte, kann ich ja kurz einen Blick auf den Rechner werfen. Aber nicht permanent. Segeln ist doch kein Videospiel!“

Und hoffe, bislang noch nicht an „digitaler Demenz“ erkrankt zu sein 🙂

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