Rollvorsegel

(c) Reckmann

(c) Reckmann

Vor einiger Zeit war im Internet die Geschichte eines Pärchens zu lesen, das im Sturm auf dem Mittelmeer ihr Boot verloren hatte. Ausgangspunkt war eine gerissene Reffleine des Rollvorsegels, das Vorsegel rauschte aus, zerriss im Sturm in Fetzen, was letztlich dazu führte das kein kontrollierter Kurs mehr gesteuert werden konnte und das Boot als Totalschaden auf einem Felsen endete. Facebook Freund Michael Ziegler kommentierte das damals mit, „mal wieder was gegen Rollvorsegel spricht – ich bleibe aber trotzdem dabei“.

Kurz danach war ich einen Nachmittag auf der ALAYA (einer 53 ft Ketsch mit Roll Vor-, Groß- und Besansegel) von meinen Freunden Marina und Uwe einen Nachmittag auf der Lübecker Bucht segeln und habe hier davon berichtet – und mir einen hämischen Kommentar eingefangen: „Wenn Du auf so ein Rollsegelding umsteigen willst, dann sag Bescheid. Die SNAEDIS hätte es bestimmt gut bei uns.“ Wieso die Skepsis gegenüber den Rollanlagen? Ist sie heute noch berechtigt?

(c) Neutrogena

(c) Neutrogena

Wenn man im Sommer durch die Häfen streift stellt man fest, das es kaum noch Boote ohne Rollvorsegel gibt. Auch Langfahrtsegler Heide und Erich Wilts mit der neuen „Freydis III“: zwei Rollvorsegel. Auf dem Volvo Ocean Racer „Neutrogena“: Roll-Stagsegel, Roll-Genua und das Code-Zero ebenfalls auf einem Furler. Auf der Homepage von Reckmann das Foto einer Superyacht mit drei Rollanlagen auf dem Vorschiff.

Als wir die SNAEDIS gekauft hatte, war noch eine weitere Avance 36 in der engeren Wahl. Rollanlage mit neuer Genua 1 und Genua 2. Die große (150%) Genua zum Regattasegeln, die kleinere (135%) Genua zum Tourensegeln. Mehr aus dem Bauch heraus habe ich mich damals für die andere Avance 36 mit Stagreitern entschieden, mit großer Genua, Fock und Sturmfock als Garderobe. Warum? Beil allen technischen Kniffen, die man inzwischen herausgefunden hat – wenn man es zu weit weggerefft hat steht so ein Rollvorsegel eben nicht mehr vernünftig und müsste dann gewechselt werden. Genau das war auch das Problem des Pärchens im Mittelmeer, „Da das ganz klein gesetzte Vorsegel gegen den Wind keine Wirkung mehr hatte…“.

(c) Heide und Erich Wilts

(c) Heide und Erich Wilts

Viele Segler, die auch mal längere Strecken bei mehr als 5-6 Bft unterwegs sein wollen (oder müssen) und ihr Vorsegel auf einer Rollanlage fahren, haben deswegen ein Solent-Stay nachgerüstet. Ein losnehmbares zweites Vorstag, das etwas unterhalb der Rollanlage angreift, aber noch so hoch das man keine Backstagen fahren muss. Das Stag kann aus Draht sein, wird heute aber meist lieber aus Dyneema gefertigt und über eine Talje oder einen Klapphebel gespannt. Ein Finnischer Avance 36 Eigner hat auf seinem Boot so etwas nachgerüstet, die „TamTam“ von Birte und Nico (eine Albin Ballad auf Langfahrt) ebenso. Dann kann man die Rollgenua (üblicherweise eine 135% Genua) in einem vernünftigen Windfenster verwenden und wenn es mehr weht, kommt ein konventionelles Starkwind- oder Sturmsegel am „Solent Stay“ zum Einsatz. Das Vorsegel auf der Rollanlage muss nicht unterwegs auf See gewechselt werden. Eigentlich ein modernes Äquivalent zur klassischen Kuttertaklung.

Und wenn die Yachten groß genug sind und mit zwei oder drei Rollanlagen ausgerüstet sind wie auf den VO60 oder auf den Superyachten werden die Rollanlagen sowieso nicht zum Reffen verwendet (sind möglicherweise nicht einmal dafür ausgelegt), sondern ausschließlich um ein Vorsegel schnell bergen zu können, wenn die Situation es erfordert. Und dann wird statt dessen mit dem nächstkleineren Vorsegel weiter gesegelt.

Robin tauscht in luftiger Höhe das Spifall aus

Maintenance im Rigg

Auf dem „Walross4“, mit dem ich vor zwei Jahren von den Azoren nach Porto gesegelt bin, war es Usus nach jeder Etappe (typischerweise 4 Wochen) das Rigg genau zu inspizieren. Einer aus der Besatzung wurde den Mast hochgezogen, hat die Wantaufhängungen, die Salingsbeschläge, die Fallaustritte und den Masttop in Augenschein genommen, und dann auf dem „Rückweg“ nach unten das Profil der Rollanlage, insbesondere die Befestigung der einzelnen Segmente untereinander geprüft. Zum Schluss den Rollmechanismus, die Trommel und die Reffleine. So sollte man es machen sein, um vor Überraschungen bei Schlechtwetter weitgehend sicher zu sein. Und die Möglichkeit haben, ein klassisches Sturmsegel zu setzen. Dann spricht auch nichts gegen Rollsegel.

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